Ce Jian bei Philine Cremer
„Schon wieder China“ denkt vielleicht der geneigte Besucher, als er erfährt, die Galeristin Philine Cremer hat sich auf chinesische Kunst spezialisiert. Ja, schon wieder China – und doch ganz anders.
von Emmanuel Mir
Seit etwa fünfzehn Jahren kommt man im deutschen Kunstbetrieb nicht drum herum: die chinesische Kunst (ein in seiner Pauschalisierung übrigens genauso unsinniger Begriff wie der der „deutschen Kunst“) ist zwar nicht gerade allgegenwärtig, hat sich jedoch vom ursprünglich exotischen Kuriosum zu einer einigermaßen respektierten und wachsenden Nische etabliert. Das Klischee einer handwerklich tadellosen, wenn schon akademisch geprägten Malerei mit einem Hang zur durchschaubaren Symbolik und zur dekorativen Effekthascherei (und immer brav gesellschaftskritisch, wie man’s von der Kunst östlich der Oder erwartet) ist zwar nicht ganz verschwunden, aber das Bild differenziert sich allmählich aus. Nach fünfzehn oder mehr Jahren Arbeit, hat die erste Generation von hiesigen China-Vermittlern (Uli Sigg als Sammlerpionier, Walter Smerling als popularisierender und penetranter Ausstellungsmacher oder aber Heinz-Norbert Jocks als intimistischer Gesprächspartner und Groupie) zugleich Gutes und Schlechtes geleistet. Das Gute überwiegt. Den Zugang zu einer bisher schwer erreichbaren Kunst haben diese und andere Akteure des Kunstbetriebes ermöglicht und damit die Aufmerksamkeit des breiten Publikums für die chinesische Produktion überhaupt eingeleitet. Sie sind die frühe Gate Opener, die das Dickicht eines unüberschaubaren Kunstdschungels gelichtet haben. Danke. Allerdings sind nur wenige von diesen Vermittlern mit den Entwicklungen der chinesischen Kunst mitgewachsen, so dass sich letztendlich eine bestimmte, leicht verdauliche und mittlerweile als „typisch“ geltende Szene (mit den ewigen Kunstmesse-Renner Fang Lijun, Yue Minjun oder Zhang Xiaogang, u.v.a…) in den Köpfen der deutschen Rezipienten eingebrannt hat.
Dass die chinesische Kunst etwas anderes anzubieten hat, als eine illustrative Variante des Surrealismus oder einer verquasten Verlängerung des Existentialismus, dürfte auch denen dämmern, die nicht genuin China-Experte sind. Und mit dem Auftreten einer neuen Vermittlergeneration dürfte sich der Wandel endgültig vollziehen. Philine Cremer gehört zu dieser Generation von jungen, aufstrebenden Galeristen, die die Vorteile einer Nische (Abteilung Business-Plan) mit menschlicher Begeisterung und Tatendrang (Abteilung Persönliche Neigung) zu kombinieren wissen – und sich ganz der chinesischen Kunst widmen. Ein bis zwei Mal pro Jahr verweilt Cremer für mehrere Wochen in verschiedenen Regionen des Landes und besucht ein Atelier nach dem anderen. Ihre Suche nach einer Qualität, die bestimmten Standards des europäischen Geschmacks entsprechen (Komplexität, Mehrdeutigkeit, konzeptuelle Relevanz vor dem handwerklichen Können) führt dazu, dass ihr Programm – vorwiegend aus MalerInnen bestehend – sich vom üblichen „chinese art“-Label unterscheidet.
Bei der aktuellen Ausstellung darf man sich sogar fragen, ob dieses Label überhaupt angebracht ist. Ce Jian ist zwar 1984 in China geboren, kam aber schon mit drei Jahren nach Deutschland und wurde hierzulande sozialisiert. Ihr Studium absolvierte sie an der UdK bei Baselitz, D. Richter und Lucander, was ihr einen ziemlich europäischen, wenn nicht sogar deutschen Pedigree bescheren dürfte. Noch ist Ce Jian jung, aber ihre künstlerische Reife ist verblüffend. Die Malerin führt eine luzide Reflexion über die Wirkung von technologisch generierten Bildwelten und bindet diese in Kompositionen ein, die sich auf die Tradition der Landschaftsmalerei beziehen. Dabei liefert die Untergattung des Bergbildes den konkreten Eingang in eine Kunst, die geistreich und intellektuell anregend ist, ohne belehrend oder altklug wirken zu wollen.
Ob man es auf den ersten Blick erkennt oder nicht sei dahin gestellt – es ist der Mount Everest, den Ce Jian als Ausgangspunkt ihrer Arbeit genommen hat. Das Motiv des Berges ist sowohl in der asiatischen als auch in der europäischen Bildtradition reichlich vertreten und besitzt eine große metaphorische Tragweite. Als imaginärer Raum, der lange Zeit vermieden wurde, galt der Berg als Reich der Götter und der Dämonen, ein unwirtlicher Ort voller Magie und Legenden – und ein Ort, an dem das romantische Subjekt die schauerliche Schönheit des Erhabenen erst erfahren kann. In der fortgeschrittenen Moderne jedoch, wo jeder Winkel dieser Erde kartographiert und gespeichert und wo jede verlassene Insel verzeichnet und indexiert wird, sind Dämonen und Legenden längst exfiltriert und in Bücher und auf Leinwände verbannt worden. Was von der Magie des Berges bleibt, ist eine riesige Menge an Daten, die unsere Erfassung der Welt perfekt macht.
Das Bild war und bleibt das erste Mittel dieser Erfassung. Ob als delikates Aquarell im 18. Jahrhundert oder als computergenerierte, dreidimensionale Information im digitalen Zeitalter, leitet sich unsere Kenntnis der Natur meistens vom Bild ab. Wir sehen und interpretieren die Natur, durch die Bilder, die wir von ihr machen. Und unsere Orientierung in der realen Welt hängt von Bildern ab – GoogleMap, die handgemachte Skizze, die Stadtkarte oder die Sterne über unseren Köpfen sind die Anhaltspunkte, ohne die wir nicht mehr zurecht kommen würden.
Ausgehend von der Vielfalt an Bildwelten, die unseren Alltag determiniert, entwickelt Ce Jian eine Strategie der Bildproduktion, die beinah postmodern erscheint. Ihre Kompositionen stellen hybride Konstrukte dar, die die filigrane atmosphärische Vibration der Aquarelllandschaft mit der sachlichen Präzision des wissenschaftlichen Bildes in einem Objekt vereinen. Manche der Arbeiten in der Galerie Philine Cremer erinnern an diekubistischen Experimente eines Feininger oder evozieren – vage – Cézanne und seine Sainte-Victoire-Serie, andere scheinen den isometrischen Berechnungen eines Computers entnommen zu sein, Rendering-Programmen, Architektursimulationen oder kartografischen Modellen. Der Rückgriff auf grelle Signalfarben oder auf harte Kanten markiert wiederrum ein Zugeständnis an die malerischen Trends unserer Zeit.
Der Blick haftet zunächst an weichen Farbvoluten, die die Geste der Malerin offenbaren und eine luftige Fläche bilden, die Fläche wird aber jäh von einer Linie geschnitten, die sich in ein strenges Raster verwandelt, das wiederum weitere Farbakzente trägt, bis diese in einer plötzlichen, impulsiven Bewegung abgebrochen werden. Was sich vielleicht wie eine langsame Metamorphose und eine ständige Wandlung der Komposition anhört ist de facto ein kristallines Konstrukt mit der tektonischen Qualität eines 3D-Landschaftsmodells, starr und kalt in seiner inhärenten Dynamik. Um über diese Malerei zu sprechen kommt man nicht umhin, gegensätzliche Begriffe zu verwenden, die den ständigen Balanceakt von Ce Jian charakterisieren – eine gestische und technische, atmosphärische und kühl-präzise, abstrakte und naturalistische Malerei.
Die malerische Intelligenz von Ce Jian findet in der Galerie eine schöne Bühne, vor allem durch eine Fensterarbeit, in der die Künstlerin eine Übertragung der direkten Umgebung vornimmt. Die kunsthistorischen Kenntnisse der Malerin, die parallel zu Malerei eben Kunstgeschichte studiert hat, scheinen gerade bei diesem installativen Eingriff deutlich durch. Man mag reflexartig alle Glasarbeiten mit Duchamps Grand Verre in Verbindung bringen, aber die Arbeit bezieht sich vielmehr auf Albertis Konzept des Bildes als Fenster zur Welt, das für die Malerei der Renaissance und die Theoretisierung der Perspektive nicht unbedeutend blieb. Im direkt-physischen wie im metaphorischen Sinne ist eben alles eine Frage der Perspektive…
Link zum Artikel © TRYLON
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